Gute Führung beginnt mit Selbstführung

Woran Führungskräfte scheitern können

Viele Führungskräfte haben sich den Aufstieg auf der Karriereleiter mit ihrer Praxis und ihrer Expertise hart erarbeitet. Doch die eigentliche Qualifizierung zur Führungskraft zeigt sich häufig erst nach der Beförderung. Grundsatz in Unternehmen war viele Jahre: Wer fachlich am kompetentesten ist, wird befördert. Jedoch sagt Fachwissen nichts über Führungsqualitäten aus. So passiert es dann: das Scheitern in der neuen Rolle.

Unternehmen sind gezwungen, verstärkt in die Persönlichkeitsentwicklung ihrer Fach- und Führungskräfte zu investieren. Zu den Top Skills einer Führungskraft gehört heute die Fähigkeit, zu reflektieren und sich bewusst zu hinterfragen. In der Vergangenheit hatte dies nicht die Relevanz. Sich selbst gut zu führen heißt, zur Selbstreflexion fähig zu sein. Dazu gehört, blinde Flecken aufzudecken, um sich auf die Schliche zu kommen und so seine Selbstreflexionskompetenz zu verfeinern. Wer es nicht schafft, seine Komfortzone zu verlassen, läuft Gefahr, an starren Denk- und Verhaltensmustern zu scheitern. Er steht sich „erfolgreich“ selbst im Weg – und bremst Selbsterkenntnis und persönliche Weiterentwicklung aus.

Doch bei der Auswahl von Führungskräften und deren Weiterbildung hat die Stärkung von Soft Skills immer noch zu wenig Bedeutung. Warum ist das so? Nun, noch ist die Generation der „Boomer“ in großer Zahlenstärke auf den Führungsetagen vertreten. Mit ihren biografischen Erfahrungen und ihrem Hierarchie- und Leistungsdenken hat sie bislang die Ansagen gemacht. Ein Investment in die persönliche Entwicklung zur Führungskraft hatte für sie bislang nicht die Bedeutung und oberste Priorität und wäre vielleicht auch mit einem zu großen „Veränderungsschmerz“ verbunden. Doch zu den fachlichen gehören eben auch fachübergreifende Kompetenzen. Im Kern sind dies:

Mitarbeiter in die Selbstverantwortung bringen

Auch auf die Gefahr hin, dass der eigene Anspruch, „wie etwas sein soll“, nicht erfüllt wird, ist es unerlässlich, Aufgaben abzugeben – auch um sich selbst zu entlasten. Wer aus einem Misstrauen heraus ständig nachhakt und jede Kleinigkeit überprüft, demotiviert und gibt anderen das Gefühl, nicht gut genug zu sein. Jedoch Mitarbeiter wollen lernen und sich weiterentwickeln. Sie wollen selbstbestimmt sein. Sie wollen Verantwortung übernehmen und nicht entmündigt werden.

Das bedeutet für Führungskräfte, delegieren zu können. Dies kann, insbesondere für diejenigen, die neu in der Rolle sind, eine echte Herausforderung sein. Der Grund: ein Micromanagement, das von starker Detailorientierung und fehlendem Vertrauen geprägt ist. Solche Führungskräfte haben ein großes Bedürfnis nach Perfektion und Kontrolle. Sie wollen möglichst in allen Aufgaben beteiligt sein und über jedes Detail Bescheid wissen – oft auch aus dem Anspruch heraus, den Überblick nicht verlieren und Komplexität bewältigen zu wollen. Ähnlich zeigt es auch dieser Praxisfall

Infolgedessen tun sich Führungskräfte oft schwer, Mitarbeiter in die Selbstverantwortung zu bringen – überfordern dabei aber letztlich sich selbst. Es gilt also zu lernen, Kontrolle loszulassen und Selbstvertrauen zu entwickeln, um so dem Team Vertrauen entgegenbringen zu können. Dafür braucht es die Kompetenz, eigene Unsicherheiten zu tolerieren – unerlässlich auch vor dem Hintergrund, dass viele Unternehmen auf Homeoffice und Remote Work umgestellt haben und Führen auf Distanz zunimmt. Das Ergebnis sind hochmotivierte Menschen im Team.

Empathisch führen können

Lange galt der Glaubenssatz „Emotionen haben am Arbeitsplatz nichts zu suchen“. Gerade für Führungskräfte der älteren Garde stellen daher „Empathie“ und „Führung“ einen Widerspruch in sich dar. Während sie Führung einzig mit Kontrolle und Steuerung gleichsetzen, steht Empathie dagegen für die Fähigkeit, sich in Menschen hineinzuversetzen und deren emotionale Lage nachzuvollziehen. Ihr eindimensionaler Führungsstil lässt somit wenig Raum für Empathie und Emotionen. Doch dies ist heute in Unternehmen immer weniger gewünscht.

Besonders jüngere Führungskräfte hadern oft damit, dass keine Emotionen zugelassen sein sollen. Ältere Führungskräfte hadern aber auch: Sie können nicht aus ihrer Haut und verstehen nicht, „wozu Gefühle zeigen überhaupt gut sein soll". Mitarbeiter erwarten heutzutage von ihren Vorgesetzten ein Maß an Empathie und möchten sich wertgeschätzt fühlen. Eine Führungskraft, die empathisch führt, kennt ihre Mitarbeiter und gibt diesen das Gefühl, als ganzer Mensch wichtig zu sein – sie kann aber auch gleichzeitig klare Grenzen aufzeigen.

Sich in andere empathisch hineinversetzen und die Perspektive wechseln zu können, ist essenziel für den Führungserfolg. Denn Mitarbeiter, die keine Wertschätzung erfahren, kündigen früher oder später. Ihre Arbeit anzuerkennen, sei es offiziell im Jahresgespräch und auch mit Mikro-Feedbacks zwischendurch, gehört zum Pflichtset einer Führungskraft. Leider sehen viele Führungskräfte Feedback als notwendiges Übel. Doch darüber schaffen sie Verbundenheit im Team und eine höhere Einsatzbereitschaft des Einzelnen.

Selbst in Führung gehen und als Mensch in Balance bleiben

Führungskräfte sollen im Spannungsfeld zwischen Unternehmens- und Mitarbeiterinteressen einen Riesenspagat leisten: Sie sollen einerseits Entscheidungen des Unternehmens mittragen und Ziele realisieren, andererseits die Belange des Teams vertreten und auf jeden Mitarbeiter und seine Wünsche individuell eingehen. Und bei allem müssen sie aufpassen, als Mensch nicht das innere Gleichgewicht zu verlieren und Verantwortung für die eigenen Wünsche zu übernehmen. Ein enormer Anspruch!

So scheitern Führungskräfte oft am eigenen Energieverlust und am Dilemma, die vorherrschende Vielschichtigkeit im beruflichen Alltag meistern zu wollen. Unter einem Aktivitätszwang arbeiten sie bis zum Umfallen daran, ihren Job zu optimieren. Sie geben sich selbst keine Bedeutung, verlieren die Balance zwischen Arbeit und Leben – und führen dann oft auch einen Lebensstil, bei dem Burnout oder Herzinfarkt vorprogrammiert sind.

Mehr denn je gilt daher für sie zu lernen, flexibler mit Druck und hohen Belastungen umzugehen und Leistung ohne Anstrengung zu erbringen – resilienzfähig zu sein. Erst die Kompetenz, mit Widersprüchen zu leben und diese in Balance zu bringen, zeichnet erfolgreiche Führungskräfte aus.


Führungskraft sein heißt, sich ständig weiterzuentwickeln, nicht nur auf fachlicher Ebene. Den Mut haben, Fehler zu machen, zu scheitern und daraus zu lernen. Dazu gehört auch, sich immer wieder zu reflektieren – das macht den wahren Erfolg in der Führung aus.

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